Erfahrungsbericht No.3: Eine Begegnung im Klassenzimmer

Ich habe nicht genug Finger an meinen Händen um all die horizonterweiternden, herzerwärmenden Begegnungen der letzten Monate zählen zu können. Da waren Gespräche mit unseren neuen Nachbarn und anderen Ehrenamtlern, die mich tagelang nicht losließen und zum Umdenken anregten. Momente, in denen Menschen verschiedenster Kulturen zusammen den Tränen nahe waren – vor Lachen! Und das, obwohl sie nicht einmal dieselbe Sprache sprechen. Manchmal genügt eben ein einzelner Blick oder eine Geste. Ich glaube, es gibt keine bessere Chance, nicht nur Neues kennenzulernen, sondern es auch zu wagen, Selbstreflektion zu üben. Es ist schon erstaunlich, wieviel man über sich selbst und seine eigene Kultur erfährt und lernt, wenn man sich mit jemandem unterhält, der seine weitentfernte Heimat aufgab, eine entsetzlich beschwerliche Reise auf sich nahm, um endlich hier sicher zu sein.

Von einer der schönsten Erinnerungen, die ich bislang machen durfte, möchte ich hier gerne erzählen. Zwei junge Männer, aus Eritrea und Syrien, fassten den Mut, Schülern der Gesamtschule Holweide all die Fragen zu beantworten, die diese sich in Anbetracht dessen, was sie aus den Nachrichten, Medien oder von ihren Eltern erfahren, stellen. Unterstützt wurden sie dabei von einem jungen Mann, der bereits vor 8 Jahren aus dem Iran nach Deutschland kam, von dessen Freundin, von der Mutter einer Schülerin, welche den Kontakt hergestellt hatte, sowie von mir, als Mitglied der Willkommensinitiative.

„Warum bist du von zu Hause weggegangen?“, „Woher hattest du denn all das Geld für die Reise?“, „Bist du in Eritrea auch zur Schule gegangen?“ – es gab so viele, so unglaublich ehrliche Fragen, fast immer waren mehrere Finger oben. Und wie so oft wurde Ehrlichkeit mit Ehrlichkeit belohnt. Die beiden jungen Männer erzählten ausführlich und geduldig von der Situation in ihrem Heimatland, von ihrer Reise, ihrer aktuellen Lage und ihren Zukunftsplänen. Die Kinder, teils schon Jugendliche, hingen an ihren Lippen. Überaus aufmerksam folgten sie den Erzählungen. Ich hatte Gänsehaut, als sie lauthals schimpften, alle zusammen, über die Ungerechtigkeiten des Lebens. Einen Kloß im Hals bekam ich, als ein Junge den jungen Mann aus dem Iran fragte, ob er die deutschen Kinder hasse, ob er denke sie seien verwöhnt, weil sie so viel hätten. Der Kloß blieb, als ein Mädchen aus der ersten Reihe wissen wollte, ob es stimme, dass die jungen Männer trotz ihrer Notlage immer das neueste Smartphone haben wollten. Der Kloß verschwand jedoch wieder, als ich begriff, wie die beiden damit unseren neuen Nachbarn die Gelegenheit gaben, sich selbst zu rechtfertigen und für sich zu sprechen. Ebenjenes Mädchen drehte sich später zu ihren Mitschülern um und schlug vor, durch alle Klassen zu gehen und Spenden zu sammeln. Eine andere Schülerin sagte, sie habe ja selbst nicht so viel Geld, ob man nicht auch auf anderem Weg helfen könne. Als ich sagte, dass Spenden nicht mal das Wichtigste seien, sondern dass wir alle die Menschen, die zu uns kommen, herzlich willkommen heißen, konnte man den Gesichtern ablesen, wie jeder einzelne von ihnen sich das zu Herzen nahm. Ich glaube, ich habe mich in Bezug auf das Flüchtlingsthema noch nie so voller Hoffnung gefühlt wie an dem Tag.

Ich muss immer noch lächeln, wenn ich daran denke, wie aufrichtig freundschaftlich, mitfühlend und hilfsbereit diese jungen Menschen den Männern aus der Ferne begegneten. Kinder gehen so unglaublich offen und pragmatisch mit Vorurteilen um: Sie schmeißen sie über Bord, sobald sie vom Leben eines Besseren belehrt werden. Unwiderlegbar sinnvoll.

A.V.

1 Comment

  1. Angelika Köster-Legewie

    Was für eine tolle Idee! Genau die richtige Antwort auf Pegida Meinungsmache. Diese Kinder und Jugendlichen werden sich nicht so leicht agitieren lassen!
    Angelika

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